Die Inflation, das Schreckgespenst unserer Zeit. Auch nebenan in der Politikabteilung schon mal beleuchtet, vor etwa einem Jahr. Da hier aber “Verschiedenes” und nicht “Politik” ist, gibt es jetzt die launisch-leichtgewichtige Variante am nicht unbedingt ernst gemeinten aber dennoch realen Beispiel.

Anno 2015 hatte ich das Preisniveau “S-Bahn zum Frühlingsfest” und “Achterbahn fahren” schon in der Überschrift verewigt. Im Prinzip ein Mini-Warenkorb aus “Mobilität” und “Freizeitvergnügen” – na wenn das nicht Potenzial hat um den Big-Mac-Index abzulösen. Leider habe ich mir die Burgerpreise (Wasenburger – warum gehört da Mozzarella drauf? Egal, trotzdem lecker) nicht gemerkt.

Jedenfalls hat auch 2023 die S-Bahn ihren Vorsprung verteidigt, auch wenn der Abstand geringer wurde: 7,40€ für Hin- und Rückfahrt sind hier fällig, während sich die Achterbahn (endlich wieder die Alpina-Bahn, immer noch mein Favorit unter den transportablen Nicht-Looping-Achterbahnen) mit 7€ begnügt. Zurückgerechnet auf die 8 Jahre liegt damit die jährliche Inflationsrate bei etwa 4%. Also etwas über dem Schnitt, aber nicht dramatisch.

Deutlich schlimmer ist übrigens die Inflation bei den S-Bahn-Verspätungszeiten geworden: 5min auf der Hinfahrt, 10min auf der Rückfahrt. In den ersten 10 Jahren ihres Bestehens war die S-Bahn im Stuttgarter Verkehrsverbund noch ein Synonym für Pünktlichkeit (kein Wunder, damaliger Vergleichsmaßstab war der vorher übliche DB-Nahverkehr (die Älteren erinnern sich noch an die typischen “Silberling”-Waggons, den Jüngeren sei gesagt, dass immerhin schon die E-Lok fuhr und nicht mehr mit Dampf gearbeitet wurde), der schon damals das heute DB-übliche Verspätungsniveau erreichte). Auch Mitte der 90er war außerhalb der besonderen Situation “erster kräftiger Schneefall” noch alles in Butter. Heute ist man eher auf dem Niveau “notorisch unzuverlässig und unpünktlich” angekommen. Also wieder auf DB-Fernverkehr-Niveau. Das spricht dann wieder für die Achterbahn in der Inflationsbetrachtung: dort war die abgelieferte Qualität absolut konstant.

Sonst etwas bemerkenswertes? Faszinierend finde ich immer die Losbuden, weil man am dort verfügbaren Plüschtierbestand einschätzen kann, was bei der jungen Zielgruppe gerade “in” ist. Inzwischen bin ich schon so alt, dass ich nur noch einige wenige Figuren überhaupt identifizieren kann – Spider-Man (Zeichentrick, nicht Film oder Comic), Pikachu, Sonic, Minions, Patrick (von Sponge-Bob), Grogu, ein Glücksbärchi…Ende. Daneben jede Menge unidentifizierbares Zeugs. Kein Scratch, kein Nemo, keine Dorie, kein Sid. Kein Dönertier. Und weil ich gerade gestern einen gesehen habe: auch kein Kirby! Ein Skandal.

Man verzeihe mir den schlechten Wortwitz im Titel. Und den Abküfi – es geht um “Tales From 6 Feet Under – Live In Concert” im Rahmen der “Dutch Clubtour” von Charlotte Wessels, genauer um das Premierenkonzert im De Bosuil in Weert. Wobei: Premiere war ja im Oktober in Utrecht, aber da war die Idee der “Clubtour” noch gar nicht offiziell geboren – das Utrecht-Konzert wurde quasi retrospektiv der Tour noch zugeordnet, davon kündet jedenfalls das (wunderschöne) Tour-T-Shirt.

Nun also Weert, verkehrsgünstig gelegen nahe Mönchengladbach – d.h. also verkehrsgünstig aus deutscher und vielleicht noch belgischer und luxemburgischer Sicht, Niederländer außerhalb von Limburg mögen da eine gegenteilige Ansicht vertreten. “De Bosuil” ist der Club, auch genannt das “Paradiso von Limburg” – dazu muss man wissen, dass das Paradiso in Amsterdam als quasi der heilige Ort der Club-Konzert-Szene in den Niederlanden gilt. Zumindest habe ich das so verstanden, ich will hier nicht den Experten für niederländische Clubkultur mimen, nichts könnte ferner der Realität sein.

Mein Online-Übersetzungstool erzählt mir, dass “De Bosuil” übersetzt “Der Waldkauz” bedeutet – ein genauso spannender wie nutzloser Fakt, und es scheint fast so, als wolle ich das Intro dieses Blog-Posts künstlich in die Länge ziehen, um irgendwie Spannung aufzubauen. Nichts könnte mir ferner liegen. Zur Sache also.

Wobei, eine Kleinigkeit noch vorab: der Name “Dutch Clubtour” hat sich insofern als (für mich) überraschend zutreffend erwiesen, als dass Charlotte den Abend mit überwiegend holländischen Ansagen bestritten hat. Ich höre die Sprache gerne, aber Charlotte hat da ein Tempo drauf, wann immer man ein “klingt so ähnlich wie im Deutschen”-Wort erhascht hat und einen Sinnzusammenhang versucht herzustellen, ist sie schon zwei Sätze weiter. Und so habe ich beispielsweise die Erläuterungen zum Einsatz des Loopers nur partiell verstanden, als aufmerksamer Teilnehmer der Patreon-Hangouts weiß man aber natürlich trotzdem Bescheid.

Jetzt aber wirklich endlich zum Konzert. Wobei, vor dem Konzert ist immer der Besuch beim Merchandise-Stand angesagt. Charlotte bemüht sich ja immer, auch in der Design-Sparte zu glänzen. Das Club-Tour-T-Shirt ist auch wirklich eine absolute Schönheit geworden, auch wenn ich die von mir vorgeschlagene Fußnote bezüglich der monochromen Rückseite vermisst habe – kleiner Scherz am Rande für Discord-Insider. Lobenswert im “Cards Only”-Paradies Niederlande: Barzahlung war möglich. Auch eine großartige Idee: die Setlist zum Konzert gab es als Stück Holz mit eben jener Setlist eingraviert – mit Datum und Ort! – nebst Autogramm von Charlotte. Angesichts der Unmengen an Zeugs, die bei mir in der Gegend rumstehen, habe ich schweren Herzens von einem Kauf abgesehen, aber es sah schon sehr schmuck aus.

Kommen wir zum Support-Act bzw. “Special Guest”, wie es heutzutage heißt. Wobei, es gab da noch vor dem Auftritt von Blackbriar einen klitzekleinen Fauxpas mit der Vor-Konzert-Playlist – es ist einfach nicht statthaft, das wunderbare “Running Up That Hill” von Kate Bush so rüde zu unterbrechen. Bemühungen um einen pünktlichen Konzertanfang hin oder her.

Jetzt aber wirklich und endgültig zur Sache. Blackbriar hat fast eine Stunde gespielt, wie sich herausstellte hatte die Sängerin Zora auch noch Geburtstag, was die recht zahlreich anwesenden Blackbriar-Fans als Anlass für das klassische Geburtstagsständchen genommen haben. Erwähnenswert auch, dass Blackbriar unter den Vorgruppen in meiner Kategorie “von denen kenne ich kein einziges Lied” ganz weit vorne war (was gleichzeitig heißt, dass mein wie immer ambitioniertes Ziel “von denen höre ich mir vor dem Konzert mal ein paar Sachen an” auch diesmal kläglich gescheitert ist). Sehr interessanter, gut anzuhörender melodischer Goth-Metal-Rock. Und Zora hat eine sehr schöne und auch besondere Stimme. Besonders zauberhaft, dass mit “Mortal Remains” Charlottes Blackbriar-Lieblingssong in die Setlist aufgenommen wurde. Randnotiz: die beiden Gitarristen konnten sich haar- und bart-technisch nicht auf einen gemeinsamen Nenner einigen, spielten aber zum Ausgleich identisch aussehende Gitarren – nach dem, was ich über die persönlichen Vorlieben dieses besonderen bis eigenwilligen Menschenschlags bisher gelesen und gehört habe, fand ich das ungewöhnlich.

Dann endlich: Charlotte mit dem bereits aus Utrecht bekannten Band-Lineup. Logischerweise ging es auf der kleinen Bühne eines Clubs etwas enger zu als im großen Ronda-Saal im TivoliVredenburg, aber die Adaption an diese etwas intimeren Verhältnisse ist wirklich sehr gut gelungen, mein Kompliment. Der Screen, Claire, Eli am Cello, und sogar die beiden Tänzerinnen konnten sich noch unfallfrei bewegen. Clevererweise hat Charlotte diesmal auf den Kleiderwechsel mitten in der Show verzichtet, das hätte ganz sicher zu Chaos geführt.

Die Setlist:

  • Ouverture
  • Human To Ruin
  • Superhuman
  • Afkicken
  • Venus Rising
  • Source Of The Flame
  • Cry Little Sister
  • Good Dog
  • Toxic
  • Alles Wat Ik Wil (Duett mit Aafke Romeijn)
  • I Forget (mit Eli am Cello)
  • Victor (mit Eli am Cello)
  • A Million Lives
  • FSU (2020)
  • Combustion
  • The Phantom Touch
  • Soft Revolution

Zugaben:

  • The Final Roadtrip (mit Eli am Cello)
  • Against All Odds
  • All You Are

Outro:

  • Utopia

Für die Uneingeweihten: hinter “Eli” verbirgt sich Elianne Anemaat, die schon zu Delain-Live-Zeiten die Streichersektion personifizierte und auch bei den Patreon-Hangouts ab und an für Kurzweil sorgt. Kompliment auch an Otto – seines Zeichens Bassist der Band – für die “harsh vocals” bei Toxic. Sauber hingekriegt. Und so langsam werde ich auch warm mit “Good Dog” und “FSU”, die ich lange in die Sektion “schwächere Songs” einsortiert hatte. Charlotte war gesanglich in Hochform und hat auch die höchsten Töne makellos getroffen. Und wie immer der perfekte Mix aus Power und Gefühl. So muss Konzert.

Für mich überraschend: auf dem Weg vom Club zum Hotel – ein etwa 30minütiger Fußmarsch durchs nächtliche Weert, dessen Nachtleben am späten Samstagabend/frühen Sonntagmorgen ich nicht gerade als “überbordend” bezeichnen würde (soll heißen: außer mir war keine Menschenseele unterwegs) – waren zwei Songs präsent in meinem Kopf, die ich vermutlich nicht in der Charlotte-Top-20 einsortiert hätte: “Venus Rising” und “Alles Wat Ik Wil”. Das eigene Hirn. Da steckste nich drin.

So weit, so großartig und erfreulich. Als geborener Schwabe gibt es aber diesen inneren nicht unterdrückbaren Drang, auch im Falle einer rundherum gelungenen Veranstaltung ein paar “Bruddler-Punkte” zu benennen. Dr Schwob bruddeld hald gern. Der Engländer würde es wohl als “nitpicking” bezeichnen. Als Vergleichsmaßstab dient hier – unfairerweise – das Konzert in Utrecht im TivoliVredenburg im Oktober vergangenen Jahres  – das ist zugegebenermaßen eine Latte, die höher nicht liegen könnte.

Also, los geht es mit meinen Mini-Kritikpunkten. Die Setlist fand natürlich nicht meine volle Zustimmung. Keine Überraschung, weil noch keine Setlist in 35 Jahren Konzertbesuche das jemals getan hat. “Masterpiece”, der Feel-Good-Patreon-Song, wurde leider nur vom Band nach dem Konzert partiell gespielt. “Fool’s Parade”, einer meiner Lieblingssongs, hat es – möglicherweise in Ermangelung von Alissa White-Gluz – ebenfalls nicht auf die Setlist geschafft, obwohl ich sicher bin, dass das nicht zwingend eine Duett-Nummer sein muss. Aafke Romeijn wird es mir hoffentlich verzeihen, aber das ziemlich gute “Alles Wat Ik Wil”-Duett kann natürlich “Fool’s Parade” und “Lizzie” mit Alissa nicht adäquat ersetzen. Die “All You Are”-Zugabe war publikumsgesangstechnisch naturgemäß deutlich sparsamer ausgestattet als in Utrecht. Der Sound generell hat auch nicht meine ungeteilte Zustimmung gefunden, im Einzelfall nach meinem Geschmack etwas zu übersteuert, und in der Abmischung verbesserungswürdig – als Fan von Charlottes Gesang bevorzuge ich da eine etwas präsentere Abmischung, aber den Kritikpunkt äußere ich auch in schöner Regelmäßigkeit bei den SotM-Abmischungen, es könnte also auch einfach eine persönliche Macke sein.

Und zuletzt muss ich zugeben, dass Charlotte über all die Zeit, in der ich nun ihr rühriges Tun bewundere, bisher immer irgendeine Überraschung aus dem Ärmel gezaubert hat – das hat diesmal gefehlt, die Show war letztlich der auf die kleiner-Club-Bedürfnisse zusammengeschrumpelte kleine Bruder der Utrecht-Show. Dabei hätte ich eine längere Wunschliste gehabt – ich hätte gerne “Bühnenshow” gegen “ein paar Lieder mehr” getauscht, gerade die neuen Songs of the Month wie “Sweep Your Ashes” oder “Butterfly Effect” wären es wert, live gespielt und gehört zu werden. Oder “Vigor & Valor”, einer meiner Favoriten. Und ich plädiere für eine “Lost Songs Of The Month”-Tour mit allen Songs, die noch nie live gespielt wurden. Und außerdem eine Neuaufnahme aller Songs mit echten Musikern im Live-Arrangement. Und überhaupt (mit-dem-Fuß-auf-den-Boden-stampf)!

Nach diesem Gebruddel will ich aber einordnenderweise nochmal betonen, dass ich hier unterm Strich wirklich über unbedeutende Randdetails referiere. Das Gesamterlebnis “Tales From 6 Feet Under – Live In Concert” ist einfach nur in der Kategorie “großartig und unvergesslich” einzustufen. Ich will es mal so ausdrücken: wenn mich einer fragt, ob ich morgen nochmal 1000km per KfZ zurücklegen will, um erneut dabei zu sein: ja, klar, auf jeden Fall. Und jederzeit wieder. Und dann nochmal.

Ich schließe mit dem ebenso traditionellen wie verdienten “Very well done, Charlotte Wessels”. Für alle, die Weert verpasst haben: es gibt noch drei weitere Chancen. Obligatorischer Hinweis: Unterstützung über Patreon ist auch eine valide Option. Und alle Fans eint die Hoffnung, dass es mit dem kommenden Album auch wieder eine Tour geben wird – Daumen drücken! Do The Thing, Charlotte!