Ziemlich genau drei Monate ist es jetzt schon her – mein zweiter Besuch in Utrecht, zum zweiten Mal für ein Konzert von Charlotte Wessels. Es zeichnet sich ein Muster ab. Jedenfalls habe ich ewig an diesem Text rumgedoktort und ihn liegengelassen und Notizen dazugeschrieben und habe mich irgendwie davor gedrückt, den Text in was publikationsfähiges zu überführen. Vielleicht war es die Sorge, dass ein lieblos hingeklatschtes Geschreibsel dem grandiosen Event nicht so richtig gerecht werden würde, dass das Fehlen einer zündenden Idee, einer interessanten mitteilungswürdigen Beobachtung zum Eindruck eines „bemühten Versuchs“ führen würde. Da ich hier aber zuerst für mich als Gedächtnisstütze schreibe und weniger für die hohe einstellige Zahl an regelmäßigen Lesern, und zudem auch nicht demnächst in die Verlegenheit kommen muss, mit Konzertberichten mein täglich‘ Brot zu verdienen, und das ganze Geblogge eigentlich hauptsächlich Spaß machen soll, habe ich mich nun doch dazu durchgerungen, einige Zeilen zu verfassen.

Auch, bevor ich endgültig die vielen Details vergesse – Zeit, die Erinnerungen und Notizen in ein „Konzert-Review“ zu überführen. Genauer: in einen verlängertes-Utrecht-Wochenende-Bericht mit dem Höhepunkt an einem schönen Freitagabend im TivoliVredenburg in Utrecht, Saal „Pandora“: Charlotte Wessels – The Obsession – Live in concert. Nun ja, „Bericht“ – wenn es um Konzerte von Charlotte geht, neige ich ja eher zu „Huldigung“. Man lese meine beiden Abhandlungen zum „Tales From Six Feet Under“-Konzert von Charlotte in Utrecht 2022.

Dieses Mal entschied ich mich für ein paar extra-Tage in Utrecht, um An- und Abreise etwas entspannter anzugehen. Obwohl diese Entscheidung das Verhältnis – Reisekosten – Übernachtungskosten – Konzertkosten vollends ins Absurde driften ließ, war es eine gute Idee – mit mehr Ruhe lässt es sich einfach besser genießen und auch mehr Platz für Aktivitäten drumrum. Vom Eivør-Konzert einen Tag zuvor hatte ich ja schon berichtet, dazu kamen ein paar Zusammentreffen mit anderen Patrons, die ich teilweise noch von Utrecht 2022 kannte – im kleineren (Pancakes bei Anna Pancakes, Burger bei Meneer Smakers) oder größeren (Hangover Hangout Vol. II im Gys) Rahmen.

Ich beginne mit der Erzählung mal mit der Mittagszusammenkunft bei Anna Pancakes in der Utrechter Innenstadt. Ein sehr entspanntes Zusammentreffen mit alten und neuen Bekannten aus dem Patreon-Kreis. Da ich „aus Gründen“ mehr das Pikante denn das Süße bevorzuge, entschied ich mich neben dem obligatorischen Earl Gray für einen Pancake namens „Morning Shizzle“ mit zusätzlich etwas Räucherlachs, was geschmacklich ein absoluter Volltreffer war, und zudem kunstvoll angerichtet. Kein Wunder, dass einige Patrons noch von ihrem Zusammentreffen damals 2022 schwärmten und deshalb für 2024 die Wiederholung ansetzten. Zudem erfolgte hier die konspirative Übergabe der neuesten NSFW-T-Shirt-Kreation mit dem kaum missverständlichen „Pien is rising“-Aufdruck – jedenfalls für Charlotte-Kenner, die mit „Venus Rising“ was anfangen können und die Ziege namens Pien kennen sowie das Misheard-Lyrics-Projekt, das in einem sehr lustigen Video für Charlotte endete. Wer allerdings (wie ich) mit diesem T-Shirt durch die Innenstadt von Utrecht läuft, kommt nicht umhin zu bemerken, dass der Schriftzug durchaus für hochgezogene Augenbrauen bei den Uneingeweihten (also: fast allen) sorgen kann. Ein sowohl merkwürdiges als auch amüsantes Gefühl.

Und dann wurde es auch schon Zeit, sich langsam fürs Konzert anzustellen. In 2022 war das Konzert noch im deutlich größeren Saal „Ronda“ im TivoliVredenburg, der damals nicht ganz voll wurde. Diesmal eine Nummer kleiner im Saal „Pandora“, der restlos ausverkauft war – das dürften rund 700 Besucher gewesen sein. Der Saal befindet sich im siebten Stock des TivoliVredenburg und ist über eine wilde Abfolge von Rolltreppen zu erreichen – was auf dem Hinweg sehr einfach und geradeaus und es-gibt-nur-einen-Weg-nach-oben wirkte, zum Rückweg dann später mehr.

Diesmal machte ich keinen Stop beim Merchandise – es sah sehr voll aus, und ich fühlte mich T-Shirt-mäßig schon sehr gut ausgestattet. Also direkt in den Saal, eine gemütliche Ecke direkt vor dem Mischpult für die optimale Übersicht über das Geschehen ausgesucht. Als Support Act war „Faunea“ angekündigt, ich hatte vorab recherchiert und auch schon vorsichtige Skepsis geäußert vor allem ob des mancherorts gezogenen Vergleichs mit Bjork. Es stellte sich dann aber im Setup „Frau mit akustischer Gitarre“ (im Gegensatz zu den sehr elektronischen synthilastigen Studioversionen) als sehr gut hörbar und vor allem gesanglich hochklassig heraus. Musikalisch nicht mein Ding, aber auch nicht nervig. Und was könnte man mehr von einem Support Act erwarten. Auch soundtechnisch gut abgemischt, was die Vorfreude noch steigerte.

Und so begann nach einem kleinen Intro endlich das Hauptereignis mit dem Opener „Chasing Sunsets“ (keine separate Setlist in diesem Artikel, die gibt es ja zum Nachlesen bei Setlist.fm), eines meiner Lieblingsstücke vom neuen Album „The Obsession“, das auch dem Konzert seinen Namen gab. Und auch live bleibt festzustellen: mit „The Obsession“ haben Charlotte und Band das Kunststück vollbracht, das bisher noch keiner geschafft hat: ein Album voll mit überarbeiteten Versionen von Songs, die ich in ihrer früheren Patreon-Song-Of-The-Month-Inkarnation schon sehr mochte, aber in der Neufassung noch viel besser finde. Üblicherweise, wenn ich mich mal an eine Fassung eines Songs gewöhnt habe, bleibt das für immer meine bevorzugte Version. Nicht so bei den „The Obsession“-Versionen, die ich allesamt besser finde als ihre Urfassungen. Und „Chasing Sunsets“ macht da keine Ausnahme. Der Song ist deutlich härter und metalliger geworden, und – um einen ehemaligen Bürgermeister von Berlin zu zitieren – das ist auch gut so.

Bei „Chasing Sunsets“ schien es einige Probleme mit dem Mikrofon von Charlotte zu geben, man fühlte sich soundtechnisch ganz kurz an die legendären Crowdcast-Audioprobleme bei den Hangouts erinnert, aber wenn ich das von hinten richtig beobachten konnte, war nach einem Mikrotausch alles wieder in Ordnung.

„Dopamine“ folgte, auf dem Album bekanntlich ein Duett mit der großartigen Simone Simons von Epica – die Simone-Fans mögen es mir verzeihen, aber der Song ist live mit Charlotte-Solo-Gesang genauso gut.

Dann wurde die Mischung etwas bunter – Afkicken vom TF6FU Vol.I und Pity Party, SotM #50 vom Mai 2024, bisher auf keinem Album aufgetaucht. Nicht mein Song-Favorit, aber in der Live-Version definitiv der 6FU-Studio-Version vorzuziehen. Mit „Toxic“, „Cry Little Sister“, „Human To Ruin“ und „Superhuman“ kamen dann vier Klassiker aus der TF6FU-Zeit zur Aufführung, bevor mit „Soulstice“ wieder zum aktuellen Album umgeschwenkt wurde. Obwohl die Songs definitiv – Vorsicht, große Worte – aus unterschiedlichen Äras stammen, wirkte der „Song Flow“ im Live-Setting ganz natürlich und harmonisch. Erstaunlich.

Mit „Ode To The West Wind“, eine der Single-Auskopplungen von „The Obsession“ und im Original ein Duett mit Alissa White-Gluz, kam auch (endlich!) Eli mit dem Cello zum Einsatz. Die „harsh vocals“ übernahm wie üblich Otto, der die Aufgabe routiniert erledigte. Und genau wie bei „Dopamine“ fand ich, dass Charlotte diesen Song auch solo überzeugend darbrachte. Und dass Charlotte auch in Hinsicht auf „harsh vocals“ Fortschritte gemacht hat, bewies sie dann bei „The Excorcism“. Sie war voll im Flow und growlte die entsprechenden Passagen mit einer Inbrunst – Respekt. Sie hatte in der Vergangenheit immer wieder betont, dass sie da bei den Growls noch etwas mehr üben muss und immer noch etwas Sorge hat, dass es ihre Stimme möglicherweise zu stark belastet. Vielleicht war deshalb auf der Setlist danach „Combustion“ (ein Instrumental-Stück aus Delain-Zeiten, bei dem die vier Musiker wirklich alle ihr Können unter Beweis stellen dürfen) angesetzt, damit sich die Stimme für 5 Minuten erholen konnte, nur für den Fall der Fälle? Kann ich mir bei Charlotte als akribische Planerin durchaus vorstellen.

Für den nächsten Song, „Praise“, kam dann gesangliche Unterstützung auf die Bühne: zwei Sängerinnen und ein Sänger übernahmen den Vocal-Part des Gospel-Chors, der für die Studio-Version von „The Obsession“ den Gesang geliefert hat. Ich sage mit Absicht nicht „Background-Gesang“, denn das wäre untertrieben. Das Wechselspiel zwischen Chor und Charlotte bei den Vocals gelang auch im Live-Setting ausgezeichnet. Und man könnte sagen, es bereitete den Boden für das erneut wundervolle „All You Are“, bekanntlich eines der eher softeren Lieder aus dem Werk der Charlotte Wessels.

Es folgte „Vigor and Valor“ – oder doch „Vigor & Valor“ (Original-Titel SotM) oder etwa (wie auf dem Album-Cover) „Vigor + Valor“? Jedenfalls ist dieser Song einer meiner Favoriten, schon als Song of the Month, aber noch mehr in der Album-Version von „The Obsession“. Eine runde Sache inklusive des „Breathe“-Outros.

Hatte ich vorher von der akribischen Planerin Charlotte Wessels geschrieben, so verkörpert der dann folgende Song „Backup Plan“ dieses Mindset perfekt – zumindest dem Titel nach. Und es ist auch der Moment, um mal das Bühnenbild anzusprechen – zwei riesige Kronleuchter thronten über der Bühne und verbreiteten irgendwie ein heimeliges Gefühl. Ein paar Wochen nach dem Konzert las ich von einem Stromausfall mitten in einem Rock-Konzert, und musste sofort an die Kronleuchter denken: hatte Charlotte womöglich ein paar Kerzen in petto, als ultimativen „Backup Plan“ für den Fall der Fälle?

Vor den Zugaben dann ein kurzes Überstreifen des passenden T-Shirts mit der Aufschrift „I ❤ Crying“, denn „The Crying Room“ stand an. Charlotte verarbeitet in diesem Stück ihre Ängste, unter anderem davor, auf der Bühne vor vielen Menschen zu stehen, und ich vermute, sie hat mit dem T-Shirt eine Art Bewältigungsritual etabliert, um dem ganzen Problemkomplex eine heitere Seite abzugewinnen. Nebenbei: auf der anschließenden Support-Tour mit Vola schaffte es eine leicht „vergothte“ (schwarzes Herz!) Variante des Shirts mit dem bekannt schlecht leserlichen Font, der auch das The Obsession-Cover ziert, ins Merchandise-Programm, und Charlottes Ansage nach Übertreifen des Shirts fügt inzwischen auch den willkommenen kapitalistischen Effekt dieser ganzen Aktion mit einem Augenzwinkern hinzu. In Patron-Kreisen ist das T-Shirt absolut zum Kult avanciert. Jenseit von all diesem „Gedöns“ soll aber nicht davon abgelenkt werden, dass „The Crying Room“ insbesondere in der Album-Version ein wirklich wunderschöner Song ist. Auch und besonders live. Quasi „zum Heulen schön“.

Und schon sind wir bei den Zugaben, bevor das Konzert dann nach gut zwei Stunden endete. „Against All Odds“ in der bekannten „Unplugged“-Fassung mit Otto, Timo und Charlotte, die aber letztlich auch die Original-Fassung von TF6FU Vol. II ist. „Reduce To The Max“ war mal ein Werbespruch unter anderem für einen Kleinstwagen im Premiumpreissegment von einem Hersteller, den ich ungenannt lassen will. Aber das Motto trifft hier zu, die Trio-Besetzung und genauso viel oder wenig, wie dieser Song braucht. Und fürs Publikum ein Moment zum Verschnaufen und sich an die gute alte Zeit zu erinnern, als man noch Feuerzeuge bei Konzerten schwenkte. Wer bei „The Crying Room“ noch keine feuchten Augen hatte, war spätestens jetzt in Gefahr.

Es folgte „Serpentine“, als SotM #35 noch „The Butterfly Effect“ genannt. Ein Song mit einer ganz bezaubernden Piano-Verzierung, die vermutlich jeder, der das Lied schon kannte, im Geiste schon antizipierte. Und ein weiterer Song in der Liste derjenigen, die von der Band-Überarbeitung für die Album-Version extrem profitierte: das Timo-Somers-Gitarrensolo ist jedenfalls phantastisch. Da wippt der Kopf, und das Herz geht auf.

Oft redet man vom „krönenden Abschluss“, und selten ist es so gerechtfertigt wie hier, denn der letzte Song war „Soft Revolution“, natürlich in der 2024er Album-Version. Auch hier ist natürlich das phantastische Timo-Solo zu nennen, aber generell ist der Song ein Meisterwerk und nach wie vor mein Liebling im an Highlights nicht armen Wesselschen Werk. Und in dieser speziellen Version kam noch die Unterstützung vom Chor hinzu, nochmal ein zusätzliches gewisses Etwas. Hatte ich vorher noch von „Reduce To The Max“ geschrieben, lief das eher unter „More is More is Better“. Das Publikum jedenfalls war der gleichen Ansicht und belohnte die gesamte Performance mit dem wohlverdienten langanhaltenden Applaus.

Nach dem Konzert habe ich auch die Chance genutzt, mit ein paar alten Bekannten von vor zwei Jahren ein paar Worte zu wechseln. Es tut immer wieder gut, die wunderbaren Eindrücke eines solchen Ereignisses direkt mit Gleichgesinnten zu teilen. Auch der Community-Aspekt ist durchaus Teil der Charlotte-Magie. Weniger magisch, sondern eher verstörend, war dann mein Tagesabschlussversuch, aus dem siebten Stock des TivoliVredenburg-Labyrinths wieder ins Freie zu gelangen. Nicht weniger als drei Mitarbeiter (oder waren es nur zufällig herumstehende unbeteiligte Besucher?) musste ich fragen, um die richtigen Rolltreppen nach unten zu erwischen. Wo sind die hilfreichen Hinweisschilder wenn man sie mal braucht. Jedenfalls beeindruckend, was auf jeder Ebene dieses Gebäudekomplexes so alles abgeht zu später Stunde. Sogar an einer Tischtennisplatte bin ich auf meiner Kurzodyssee vorbeigekommen.

Noch ein paar beiläufige Anmerkungen zum Abschluss – in Anbetracht des Gesamterlebnisses so unbedeutend wie unspektakulär. Wie immer muss ich die „Bühnenatmosphäre“ loben. Es fühlt sich immer an wie wenn gute Freunde zusammen Musik machen. Die Atmosphäre wirkt so liebevoll und gleichzeitig entspannt und humorvoll. Voller Freude und auch gegenseitigem Respekt und Zuneigung. Besonders das „Trio“ bei Against All Odds bestehend aus Otto, Timo und Charlotte unterstrich das nochmal.

Irgendwie ist mir auch das Detail unter dem Arbeitstitel „Der Kampf gegen die Luftschlangen“ im Gedächtnis geblieben. Ich habe keine Ahnung wie die Dinger im Event-Fachjargon heißen, es scheinen die Nachfolger von Konfetti-Kanonen zu sein: es werden lange Papierbänder, eben Luftschlangen, aus der Höhe der Bühne im Bogen Richtung Publikum abgeschossen. Das hat neben dem „Aha-Effekt“ dank Flugbahn und Mehrfarbigkeit auch potenziell unerwünschte aber interessante Auswirkungen: einige landen auf der Bühne, was den unverzichtbaren Beardboy zu einem Kurzeinsatz mit dem Besen veranlasste. Und einige bleiben im Hallendeckengerippe und den Scheinwerfern hängen, was sowohl für Publikum als auch Künstler teils zu leichten Irritationen und zu mückenverscheuchartigen hektischen Bewegungen führte. In den diversen Videos auf YouTube vom Konzert kann man einige dieser Luftschlangen da unmotiviert im Bild rumhängen sehen.

Das nächste Konzertereignis dieser Art wird die derzeit für 2025 einzige „Headliner-Show“ im Bibelot in Dordrecht am 2025-02-21 . See you there!

Und damit endet dieser Bericht. Vielleicht schreibe ich noch ein einen Folgeartikel zum „Hangover Day“ am nächsten Tag inklusive „Hangover Hangout“, denn dieser Artikel hier ist schon wieder viel zu lang geworden. Man stelle sich vor, ich hätte den direkt nach dem Konzert verfasst, als ich noch nicht die Hälfte vergessen hatte – nicht auszudenken, das hätte ja kein Schwein gelesen. Gruß an alle, die bis hierher durchgehalten haben.

Noch ein spezieller Service für Charlotte-Patrons: hier der Link zum „The Obsession Release show photoblog“, um mit Hilfe einiger sehr schöner Fotos (auch zur Illustration „Profis machen echt viel bessere Fotos“ geeignet) in Erinnerungen an dieses Konzertereignis zu schwelgen.

Nach dem sanften Aufgalopp gestern bei der unvergleichlichen Eivør bin ich jetzt voller Vorfreude auf das eigentliche Highlight des verlängerten Wochenendes: Charlotte Wessels: The Obsession Live in concert. Utrecht, TivoliVredenburg, 19.45h geht es los. Diesmal im „Pandora“-Saal, ausverkauft, es sind also etwa 600 Zuschauer/-hörer zu erwarten. Das ist ungefähr so das Limit, bei dem ich Konzerte noch genießen kann, je größer es dann wird desto schwieriger.

Support Act ist Faunea. Nie gehört. Offenbar eine Dänin mit peruanischen Wurzeln. Die Songs „Dark electronic vibe“ und die Stimme „a delightful combination of lightly intimate yet surprisingly powerful and dark.“. Wird ab und zu mit Björk verglichen, was wir in Anbetracht der Gefahr einer Schmälerung der Vorfreude gleich wieder vergessen. Aber bei allen Vorgruppen gilt es, vorurteilsfrei zuzuhören, und die letzten Jahre wurde ich deutlich seltener enttäuscht und/oder genervt als die Jahrzehnte davor. Wird schon passen.

Zurück zur Charlotte-Vorfreude. Der letzte Vorfreudebericht war ja noch vor dem Album-Release – da gab es zwar schon vier der fünf vorab veröffentlichten Singles (sind es eigentlich noch Singles, wenn es weder CD-Singles noch Vinyl-Singles davon gibt?), die deutlich die Richtung anzeigten, aber man ist sich ja nie ganz sicher. Jetzt kann ich aber eins sagen: das komplette Album ist ein absoluter Volltreffer, insbesondere Vigor & Valor sowie Soft Revolution sind in der „Band-Fassung“ nicht weniger als sensationell. Ja, das konnte die Vorfreude noch um einiges steigern.

Auch das „Eingrooven“ bei Anna Pancakes mit ein paar anderen „fellow masterpieces“ war wunderbar. Jetzt aber noch kurz etwas entspannen, bevor dann das Konzert losgeht. The Hype Is Real.

Weil es zeitlich zufällig mit meinem Utrecht-Ausflug zwecks „Charlotte Wessels – The Obsession live in concert“ zusammengepasst hat, habe ich gerade/soeben/gestern Abend das Vergnügen gehabt, einem Eivør-Konzert beizuwohnen. Wer Eivør nicht kennt (so wie ich bis vor zwei Jahren oder so nicht mal dem Namen nach): sie ist eine Singer-/Songwriterin von den schönen Färöer-Inseln, die es hierzulande zu einiger Bekanntheit schafften nicht nur aufgrund des leicht gereizten Auftritts von Rudi Völler nach einem blamablen Spiel der Fußball-Nationalmannschaft im Juni 2003 (ja, so lange ist das schon wieder her…wir waren damals gerade amtierender Vize-Weltmeister, die Älteren erinnern sich). Immerhin reichte es damals noch zu einem 2:0-Zittersieg nach 89 torlosen Minuten gegen den erwartet starken Gegner – am Ende führte es zum legendären „Weißbier-Waldi-Interview“ nach einem Unentschieden gegen die nicht minder starken Isländer Ende 2003. Aber ich schweife ab – Musik soll das Thema sein. Durch die Mitarbeit am Soundtrack für zwei Teile der „God of War“-Spielereihe ist Eivør auch außerhalb der verschworenen Fangemeinde bekannt geworden. Und mit ihrem Auftritt in Wacken 2023 erschloss sie nochmals ein ganz anderes Publikum. Oder vielleicht doch das Gleiche?

Zurück zum Konzert. Ort der Handlung: TivoliVredenburg, Utrecht – Saal „Ronda“, ausverkauft – also vermutlich so um die 2000 Zuschauer. Support-Act war Sylvaine, dahinter steckt die norwegische Musikerin Kathrine Shepard. Und die kann echt gut singen – heidanei, wie der Schwabe sagt, oder „wow“ für die Restdeutschland-Fraktion. In der Wikipedia wird das Projekt unter „Black Metal“ und „Blackgaze“ (und da ist sie wieder, meine Überforderung mit den diversen Metal-Subgenres) einsortiert. Keiner der performten Songs waren in irgendeiner Art „Metal“, zumindest für meine Ohren. Es war eher so „mystischer Folk“ würde ich sagen. Atmosphärische Klänge mit Super-Gesang. Den Abschluss bildete eine A-Capella-Version eines alten norwegischen Volksliedes. Große Sangeskunst. Laut Wikipedia gibt es Sylvaine auch in der Live-Ausprägung mit Bandbesetzung, aber heute war Solokunst angesagt.

Kommen wir zu Eivør. Sie singt bunt gemischt in Englisch und Färöisch (Färösisch? Färingerisch?). Bei letzterem kann man sich also voll auf die musikalische Atmosphäre konzentrieren und wird nicht durch etwas schnödes wie Lyrics abgelenkt. Tatsächlich funktioniert das sehr gut – die Musik ist problemlos in der Lage, das „Gefühl“ zu transportieren, und die einleitenden Worte – Kompliment für die diversen Ansagen, der Dame sitzt wirklich der Schalk im Nacken – reichen völlig aus, um das Thema grob zu umreißen – den Rest erledigt die Phantasie des Zuhörers.

Wer jetzt von mir erwartet, den Musikstil hier einzugrenzen – keine Chance. Die Songs reichen von „mystischem Folk“ (hey, diese Idee für eine Genre-Bezeichnung gefällt mir so gut, dass ich sie hier gleich noch mal erwähnen will – das setzt sich sicher in der Breite durch!) bis hin zu etwas poppigen Nummern. Manchmal sparsam instrumentiert, teilweise nur mit E-Drums untermalt, aber dann wieder „volle Lotte“ mit Synthi, E-Gitarre und Schlagzeug. Und einem Bass-Fiedel-Dings-Instrument, das ich leider aufgrund mangelhafter musikalischer Grundbildung nicht genauer benennen kann. Genausowenig wie die große Trommel, mit der Eivør bei einigen Songs den Grund-Beat schlägt, beispielsweise bei „Trøllabundin“, was nach meinem Eindruck einer der Fan-Favourites war.

Insgesamt war das ein wirklich spezielles Erlebnis. Zwei herausragende „nordische“ Sängerinnen an einem einzigen Abend. Und obwohl die Songs nun gar nicht meinen favorisierten Genres zuzuordnen sind, habe ich trotzdem gerne und aufmerksam zugehört. Und das ist fast das größte Kompliment, das ich für „nicht mein Genre“-Künstler zu vergeben habe. Und vergnüglich war es obendrein – ich erwähnte es oben schon. Gesangstechnisch war es jedenfalls Spitzenklasse.

„Einmalig“ steht im Titel dieses Blog-Posts. Ich empfehle jedem, auch mindestens einmal im Leben das Eivør-Erlebnis mitzunehmen. Ich bin jedenfalls glücklich und zufrieden damit. Ob es bei „ein Mal“ für mich bleiben wird, da muss ich jetzt erst mal drüber schlafen.

Zwei Dinge stehen demnächst an, auf die ich mich wie ein Schneekönig freue (da fällt mir ein, dass ich die Herkunft dieses Sprichworts gar nicht kenne…wie freut sich ein Schneekönig…und was ist das überhaupt, ein Schneekönig?): Release des neuen Charlotte-Wessels-Albums „The Obsession“ am 20. September, und die „Release Show“ in Utrecht im TivoliVredenburg am 4. Oktober. Fast zwei Jahre nach der legendären „Double Release Show“ namens Tales From 6 Feet Under, die mir damals zwei Blogeinträge wert war.

Als Patron der schönen Künste kenne ich die Lieder der Tracklist des neuen Albums natürlich schon, aber eben „nur“ die initialen Patreon-Versionen und nicht die finalen, mit der ganzen Band erarbeiteten und aufgenommenen Versionen die auf dem Album sein werden. Und die inzwischen vier releasten Songs – The Exorcism, Chasing Sunsets, Dopamine und The Crying Room – lassen mich da ein Muster erkennen. Nämlich, dass ich die neuen Band-Versionen fürs Album sooooooo gut finde. Was einigermaßen ungewöhnlich ist, denn in der Regel bin ich bei Songs die ich gut finde sehr stark auf die initiale, liebgewonnene Version geprägt. Aber bei der Ausnahmekünstlerin gibt es dann wohl die Ausnahme von der Regel.

Und jetzt hat ein Album-Vorab-Reviewer auch noch ein weiteres Vorfreude-Fass aufgemacht und in den höchsten Tönen die neue Version von „Soft Revolution“, meinem absoluten Lieblingssong und auf dem neuen Album der finale Track, gelobt. Wer hat da nicht sofort die Assoziation „krönender Abschluss“. Und bekanntlich ist ja auch noch einer meiner Lieblingssongs, Vigor & Valor, auf dem neuen Album vertreten. The suspense is killing me. Und nein, Vorfreude ist nicht die schönste Freude. Wenn ich zum Konzert nach Utrecht fahre, auf dem Weg dorthin das neue Album auf Repeat hören werde – DAS wird die schönste Freude sein. Dann das Konzert, der voraussichtlich allerschönsten Freude.

Aber bis dahin…freue ich mich eben an der Vorfreude.

Von höchst Erfreulichem soll hier die Rede sein. Seit Mitte 2022 verfolge ich nun das rege Treiben der wunderbaren Sängerin (und Songwriterin und Entertainerin) Charlotte Wessels. Wegen Ihr (bzw. Ihrer Konzerte) bin ich drei Mal in die Niederlande gefahren, habe interessante und liebenswerte Menschen kennengelernt, und habe in der Nach-Corona-Zeit wieder Spaß an Rock-Konzert-Besuchen gefunden.

Charlotte hat den Januar 2024 zum „Patreon Relaunch Month“ ausgerufen und ihrer Patreon-Präsenz eine Frischzellenkur verpasst. Wer die Historie nicht kennt: anno 2020 am 13. Mai ins Leben gerufen, sollte das eine Art „Nebenprojekt“ sein, mit der Idee, den ganzen Haufen Songs, den Songwriter so produzieren, jeden Monat einem würdigen Release für die zahlende Kundschaft (aka „Patrons“) zuzuführen. Dann war klar: Corona dauert länger, und schließlich hat sich dann auch noch Delain Anfang 2021 getrennt/aufgelöst/neu formiert (je nachdem welchem Narrativ man folgen will). Damit änderte sich der Zweck der Patreon-Präsenz natürlich grundlegend: von einem lustigen kleinen Nebenprojekt zum Hauptbroterwerb einer jetzt auf Solo-Pfaden wandelnden Künstlerin. Aber eines blieb konstant: der Output von einem neuen Song pro Monat (inzwischen 46 an der Zahl – Stand 13. Januar 2024). Sogar noch mit ein paar Bonussongs zwischendrin. Zwei Alben wurden released, dann der erste unvergessliche Live-Auftritt im Oktober 2022 in Utrecht, gefolgt von vier Konzerten im Rahmen der „Dutch Clubtour“.

Und jetzt die Arbeiten zusammen mit der Band (noch namenlos – man arbeitet dran) am neuen Album. Im Gegensatz zu den beiden „Tales From Six Feet Under“-Alben zuvor, die in weitgehender Isolation (nämlich in eben jenem heimischen „Six Feet Under Studio“) mit Cubase und allerlei Plugins entstanden sind und mehr Compilations gleichen (nämlich die Sammlung der Patreon Songs Of The Month), soll es jetzt die eher klassische Herangehensweise sein: Songs aus einem Guss, viel Arbeit an ausgefeilten Arrangements, echte Musiker im Studio, die alle ihren Input liefern. Alles in allem ein neues Kapitel in der Solokarriere der Charlotte Wessels. Wenn das kein Grund ist, den Stand der Dinge mal anzuschauen. Zu „reviewen“ wie es heutzutage so schön heißt. Und so durften wir Patrons einen ausgefuchsten Fragebogen beantworten und unseren Input liefern: warum wir welchen Unterstützerlevel gewählt haben, was coole neue Benefits wären, welche Benefits wir bisher toll fanden und welche eher verzichtbar sind.

Das alles mündete dann Anfang Januar 2024 im „Relaunch“. Und was soll ich sagen: ich empfinde die überarbeitete Version als vollen Erfolg. Bewährtes beibehalten, Neues einführen. Mit Bedacht, aber auch mit Mut. Mit der Möglichkeit, nun jährlich im Voraus die Mitgliedschaft zu zahlen, im Austausch für 10% Rabatt und dem Extra-Bonus, das neue Album frisch zum Release kostenlos dazuzubekommen. Aber lest selbst. Besonders der rege Informationsfluss zum neuen Album, von der Live-Reportage aus dem Studio bis zu Details der Song-Produktion erfreut mich sehr.

Also: jetzt Patron werden. Geht auch im neuen „Free Tier“, wo man per Patreon-Blog-Posts auf dem Laufenden gehalten wird, aber natürlich nicht Zugriff auf die exklusiven Inhalte bekommt. Aber schon für 3€ pro Monat (zzgl. MwSt. natürlich) gibt es Zugriff auf den „Song Of The Month“ – und alle bisher releasten Songs ebenfalls. Wenn jemals „Value For Money“ das passende Schlagwort war – hier trifft es absolut zu. Wer noch nicht überzeugt ist: gerade wurde zum „Relaunch Month“ das großartige Duett mit Alissa White-Gluz namens Fool’s Parade für alle veröffentlicht, ein „Song Of The Month“ von Oktober 2022.

Genug geschwärmt. Den Blog-Post-Titel könnte man als Zitat des Untertitels des zweiten, eher unerfreulichen Teil der Matrix-Filmreihe verstehen. Aber das, was Charlotte hier macht, passt eigentlich eher zum dritten Teil. Eine – zumindest kleine – Revolution. Oder besser: A Soft Revolution (trotz monatlich größer werdender Konkurrenz immer noch mein Lieblingssong).

Die Vorgeschichte dieses Konzertbesuchs im Colos-Saal zu Aschaffenburg beginnt im April diesen Jahres. Ich weilte in den Niederlanden zwecks eines großartigen Konzertereignisses im weltweit bekannten Musik-Hotspot De Bosuil in Weert, Provinz Limburg. Support-Act aka „Special Guest“ bei der wunderbaren Charlotte Wessels war die niederländische Combo Blackbriar mit der ebenso wunderbaren Zora Cock als Sängerin. Und was die da performt haben, fand ich schon ziemlich gut. Als dann eine Double-Headliner-Tour zusammen mit Ad Infinitum (da kannte ich zu diesem Zeitpunkt nur die Sängerin Melissa Bonny, allerdings nur in ihrer Funktion als Sängerin von The Dark Side Of The Moon mit dem May-It-Be-Duett zusammen mit Charlotte Wessels (ja, ein Enya-Cover), und auch aus einem sehr sehens- und hörenswerten Gastauftritt beim Song und Video von „Ding“ in der Coverversion von Feuerschwanz) angekündigt wurde, war Aschaffenburg terminlich und räumlich die Konzertlocation der Wahl.

Wie sich dann herausstellte, kam auch noch Phantom Elite als Support-Act dazu. Eine eher unbekannte niederländisch-brasilianische Metal-Band, die konsequenterweise auch nur bei der niederländischen Wikipedia einen Eintrag hat. Also eine mir bekannte und zwei mir unbekannte Bands mit dem einigenden Attribut „Heavy Metal“. Ob das gutgeht? Zudem mein erstes Konzert, bei dem ich von keinem der Beteiligten einen Tonträger zu Hause habe. Was kann schon schiefgehen.

Zuerst also Phantom Elite. Ich bin kein Experte bei den zig Metal-Stilrichtungen von Symphonic Metal über Metalcore bis Progressive Metal, die angeblich oder tatsächlich bei Phantom Elite zusammengebraut werden. Ich kann nur sagen: das fetzt, das rockt, das bangt. Die Sängerin Marina La Torraca ist eine Naturgewalt, sowohl was das gesangliche Vermögen als auch die Bühnenpräsenz angeht. Dazu ein alter Bekannter auf der Bühne: Siebe Sol Sijpkens, im Hauptberuf Bassist bei Blackbriar und damit an diesem Abend gleich doppelt im Einsatz, mischt auch bei Phantom Elite mit. Seine Hyperaktivität auf der Bühne macht einfach Spaß beim Zuschauen. Strich drunter: eine großartige Stunde Musik. Bin jetzt Fan.

Als Nächstes: Blackbriar. Mit einem ähnlichen Set am Start wie damals bei Charlotte, bin ich erneut begeistert. Zoras Gesang ist etwas ganz Besonderes, zwischen zerbrechlich und ver- und bezaubernd, die Songs mit wunderschöner Melodieführung, dazu die zwei Jungs an der Stromgitarre und Siebe am Bass noch dazu – großes Kino. Ist es jetzt Goth Metal oder Symphonic Metal oder Alternative Metal? Wurscht. Es ist einfach großartig. War, bin und bleibe Fan.

Kommen wir zu Ad Infinitum. Melissa Bonny war gesundheitlich leicht angeschlagen – dass man das aber nur bei den Ansagen zwischendurch gemerkt hat und nicht bei der Performance der Songs, spricht für ihre unglaubliche Professionalität. Und was diese Frau auf der Bühne abzieht und zudem souverän zwischen Clean und Harsh Vocals hin- und herwechselt – erneut: ganz großes Kino. Bin jetzt Fan.

Damit bleibt nach etwa vier Stunden die Erkenntnis des Abends: wieder sind aller guten Dinge drei. In diesem Falle alle drei. Und nach meinem Empfinden ging es dem Rest des Publikums im pickepackevollen Saal genauso.

Und was ist mit Kritik? Nur (Neu-)Fanboy-Geschreibsel hier? Aber nein. Denn leider leider hat ein sehr tauber Toningenieur am Mischpult den Konzertgenuss doch etwas getrübt. Zu viel Bass, zu viel Drums, zu wenig Gesang. Shame on you, Mister Sound Engineer. Denn während meistens mehr tatsächlich mehr ist, wäre in diesem Falle weniger mehr gewesen.

Schrieb ich oben was über die völlige Abwesenheit physischer Tonträger dieser Bands in meinem Besitz? Beim nächsten Konzert, und zwar egal von welcher dieser drei Bands, werde ich das nicht mehr schreiben können.

Für die Zwecke einer schönen Alliteration wäre es besser gewesen, den Titel „Müde Männer machen Musik“ zu wählen, aber nichts könnte weiter von meinem Eindruck vom letzten Sonntag entfernt sein. Vielleicht „Muntere Männer machen Musik“? Warum nicht gleich „Musik macht müde Manner munter“? Naja – wir sind doch hier nicht bei Axel Frischmilch.

Scherz beiseite. Tatort war die Liederhalle in Stuttgart, der „wunderbar geschmückte Hegel-Saal“ (Zitat Günther Sigl). Obwohl Ankündigung und Ticket eher auf „Double Headliner“ schließen ließ, war die Aufteilung der Auftrittsdauer ganz in meinem Sinne: etwa 1h machte die Münchener Freiheit den Anheizer, nach etwa 20min Umbaupause kam dann die Spider Murphy Gang mit ihrem vollen Set von über zwei Stunden zum Einsatz.

Die Jungs von Grachmusikoff traten zuletzt unter dem selbstironischen Motto „Too old to die young“ auf, und besonders bei den Spiders mit den zwei Gründungsmitgliedern Günther Sigl und Barney Murphy (aka Gerhard Gmell – Randnotiz: Wikipedia, IMDB, Spider-Homepage, seine eigene Homepage und der Rest der Welt scheinen sich uneinig, ob er nun „Barny“ oder „Barney“ heißt…die Wikipedia verwendet konsequenterweise beide Schreibweisen, um die Verwirrung noch zu steigern) – seit 1977 zusammen auf Tour in Sachen Rock’n’Roll – trifft dieses sicherlich voll zu. Bei der Münchener Freiheit, gegründet 1980, ist immerhin noch Gitarrist Aron Strobel, der auch zusammen mit dem ehemaligen Sänger Stefan Zauner die bekannten Hits geschrieben hat, als Gründungsmitglied an Bord. Mit Jahrgang 1958 ist er aber über 10 Jahre jünger als „Bühnensenior“ Günther Sigl.

Das eher honorige Ambiente der Stuttgarter Liederhalle – wie gesagt, der wunderbar geschmückte Hegel-Saal war Ort der Handlung – wo tendenziell eher klassische Konzerte und ab und an auch Konferenzen stattfinden war also durchaus angemessen für diese beiden Bands, die vor allem in den 80ern des vergangenen Jahrhunderts deutsche Musikgeschichte geschrieben haben. Auch schon wieder 40 Jahre her.

Natürlich war es unvermeidlich in den 80ern, die Lieder der Münchener Freiheit zu kennen. Kaum jemand aus meiner Generation hat nicht „Ohne Dich schlaf‘ ich heut‘ Nacht nicht ein“ oder „Solang man Träume noch leben kann“ gehört und gekannt. Zumindest den Refrain kann praktisch jeder mitsingen. Und ich durfte feststellen, dass mein 80er-Gedächtnis noch voll intakt ist und ich von den 13 gespielten Liedern die damals mir bekannten 10 weiterhin weitgehend textsicher mitsingen kann. Immer noch nicht voll mein Geschmack, weil etwas zu poppig und schlagerartig, aber man kann sich das sehr gut eine Stunde lang anhören ohne es zu hassen. Und das ist ja wirklich für einen „Support Act“ schon eine herausragende Leistung. Mindestens der halbe Saal jedenfalls war ziemlich begeistert. Auch wenn ich zugeben muss, dass mich der Sänger (nicht mehr Gründungsmitglied Stefan Zauner, sondern seit 2012 Tim Wilhelm) nicht ganz abgeholt hat – die Stimmfarbe ist einfach anders und klingt für mich, der ich die Lieder nur im Original und aus der Konserve kenne, irgendwie „falsch“. Nicht schlecht, aber eben anders. Hier die Setlist zum Nachlesen.

Nebenbemerkung: keines der Gründungsmitglieder ist gebürtiger Münchener, im Gegenteil haben sich da drei waschechte Schwaben (zwei württembergische, ein bayerischer) in das Lineup gemischt. Der Name war und ist also nicht unbedingt Programm wenn man so will.

Sehr angenehm fand ich, dass die Lieder live einen deutlich rockigeren Eindruck machen als aus der Konserve, die ja doch eher poppig-flauschig-zuckersüß daher kommen. Die E-Gitarre von Aron Strobel ist im Mix sehr präsent und trägt zusammen mit dem Bass von Michael Kunzi den entscheidenden Teil dieser angenehmen Härte bei.

Kommen wir zu den Spiders. Günther war sehr gut aufgelegt und hatte einige erweiterte Ansagen in petto, zuzüglich der Klassiker vor „Mit’n Frosch im Hois und Schwammerl in de Knia“ – von Menschen, die auch selbst „Hokuspokus“ auswendig kennen, gerne mit einem überraschenden Auftauchen von „Immer auf die Kleinen“ in der Setlist verwechselt – und natürlich die feinen Textanpassungen bei „Überdosis Rock’n’Roll“ und „Wo bist Du?“, um das Kennerherz zu erfreuen (ich warte ja seit über 20 Jahren darauf, dass die „DDR“ mal aus dem Text von „Ich grüße alle und den Rest der Welt“ verschwindet). Und immer wieder der Hinweis auf den „wunderbar geschmückten Hegel-Saal“. Gefehlt hat eigentlich nur die Willie-Duncan-Geschichte vom einzigen Schotten weltweit, der bayrisch singt. Aber manchmal ist ja das Weglassen die große Kunst. Sehr gefreut hat mich der kurze Rückblick auf das 40jährigen Jubiläumskonzert, das mir noch in bester Erinnerung ist.

Die Setlist war dann eher Standard:

  • Überdosis Rock ’n‘ Roll
  • Rock ’n‘ Roll Schuah
  • Vis-a-vis
  • So a Nacht
  • Mit’n Frosch im Hois und Schwammerl in de Knia
  • Sommer in der Stadt
  • Ich grüße alle und den Rest der Welt
  • Pfüati Gott Elisabeth
  • Schickeria
  • Wer wird denn woana
  • Ich schau‘ dich an (Peep Peep)
  • Wo bist Du?
  • Skandal im Sperrbezirk

Zugaben:

  • Achterbahn
  • Herzklopfen
  • Mir san a bayrische Band

Wie immer hat Günther seinen sehr optimistischen Ausblick auf die nächsten Jahre verkündet, wie lange die Spiders noch auf der Bühne stehen werden. Ich könnte mir vorstellen, dass mindestens das 50jährige Bühnenjubiläum noch ein realistisches Ziel sein dürfte. Auch wenn man bekanntlich, selbst wenn man junggeblieben ist, nicht jünger wird. Im Gegensatz zur Münchener Freiheit jedenfalls ist kaum vorstellbar, dass die Spiders den Sänger wechseln und weitermachen. Das wäre wie die Rolling Stones ohne Mick Jagger. Wobei, Queen ohne Freddy Mercury wurde ja auch versucht…

Seit der VfB Stuttgart wieder anständigen Fußball spielt, lese ich wieder gerne Berichterstattung. Nicht immer eine gute Idee. Nebenan im Politik-Blog ist „Qualitätsjournalismus“ ein wiederkehrendes Thema, aber Schludrigkeit und Schlampigkeit ist eben allgemeines Journalismusproblem und kein exlusives Politikjournalismusproblem.

Heute also die sport1-Nachberichterstattung zum VfB-Sieg gegen Darmstadt mit dem Artikeltitel „Die „komplette Palette Guirassy““. Man lobt den glänzenden Saisonstart, und dann kommt der Grund für die Überschrift dieses Blog-Posts – ich zitiere: „Besser waren die Schwaben nur vor 37 Jahren mit Trainer Joachim Löw und dem „magischen Dreieck“ Krassimir Balakow, Giovane Elber und Fredi Bobic in die Saison gestartet (fünf Siege).“ 2023 – 37 ist 1986. Da war Fredi Bobic 15 Jahre alt. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass er damals beim VfB Teil des Bundesliga-Teams war, geschweige denn Teil des „magischen Dreiecks“ mit dem nochmal ein Jahr jüngeren Elber. VfB-Experten werden jetzt sogar kurz drüber nachdenken müssen, wer eigentlich 1986 Trainer war. Kleiner Tipp: es waren sogar drei, und Benthaus (Meistertrainer von 1984, den werden die meisten noch kennen) war es nicht mehr.

Und immerhin dafür taugt schlampige Berichterstattung: als Recherche-Trigger.

Eine kurze Notiz eines Kabelliebhabers-aber-drahtlos-geht-zur-Not-auch. Im Moment unterziehe ich meinen Sony WH-1000XM3 einem zweiwöchige Hardcore-Praxistest. Verkabelt und Bluetooth gemischt. Ich habe den Sony-Kopfhörer ja schon früher lobend erwähnt, weil er sowohl ein sehr gutes Noise Cancelling hat als auch einen sehr guten Ambient-Modus (aka „Transparenz-Modus“). Und LDAC als einzig wahren Bluetooth-Codec unterstützt. Aber natürlich auch AAC oder aptX HD, wenn man ihn mit minderwertigen Geräten koppeln muss. Und per Kabel auch rein passiv betreibbar, wenn der Saft ausgeht. Ein rundum gelungenes Gerät. Aber das soll gar nicht das Thema sein.

Jetzt stelle ich im Kabellos-Betrieb interessanterweise fest, dass ich immer noch Reflexe habe, um mich nicht mit dem Kabel zu verheddern. Typische Handbewegungen um das Kabel fernzuhalten. Typische Bewegungseinschränkungen um in der Reichweite des bekanntermaßen stets zu kurzen Kabels zu bleiben und nicht aus versehen mit Schwung den Klinkenstecker aus der Laptopbuchse zu entfernen. Schon interessant, was das Hirn so leisten kann. Und gleichzeitig nicht leisten kann.

Kaum hatte ich den vorherigen Kopfhörer-Artikel vollendet, gab es im Rahmen des Prime Day den Nachfolger meines QC35 – mit QC45 auch außergewöhnlich kreativ benannt – zu einem saugünstigen Preis zu erwerben. Da ich schon lange ein zweites Standbein als Kopfhörer-auf-Herz-und-Nieren-Tester aufbauen will, hier mein Review.

Über den QC35 habe ich viel Gutes geschrieben, vor allem wenn man bedenkt, dass das Modell schon 2016 erschienen ist. Die Kurzfassung: sehr hoher Tragekomfort, sehr gutes Noise Cancelling, immerhin ein mittelguter Codec unterstützt (AAC) und ein aus meiner Sicht sehr ansprechendes Bedienkonzept – gut erreichbare Knöpfe, und „Einschalten und Pairing“ sehr gut mit einem Schiebeschalter gelöst nebst nützlicher Ansage mit welchem Gerät der Kopfhörer verbunden ist. Viel zu verbessern gab es also nicht. Wenn man mich gefragt hätte: Transparenz-Modus hinzufügen, HD-Bluetooth-Codec-Unterstützung dazubauen (mindestens aptX HD und/oder LDAC, und wenn es als Fernseh- und Heimkino-Kopfhörer taugen soll, auch noch aptX LL), Doppelbelegung der Tasten anders lösen, vielleicht ein neuerer Bluetooth-Standard zwecks energiesparender Funkverbindung, und wenn möglich eine Abkehr von der dämlichen 2,5mm-Klinkenbuchse am Kopfhörer. Längere Akkulaufzeit würde auch nicht schaden, schließlich sind 5 Jahre vergangen zwischen dem Erscheinen des QC35 und der ersten Marktverfügbarkeit des Nachfolgers QC45. Für den selbsternannten Innovationskonzern Bose sollten da doch signifikante Verbesserungen drinliegen.

Äußerlich sind die beiden Modelle kaum zu unterscheiden, und das ist ja auch kein Fehler, da war der QC35 gerade bezüglich Tragekomfort und Bedienkonzept schon vorbildlich. Auch das Hardcase ist quasi identisch, der Lieferumfang der Adapter ist auf „0“ geschrumpft, Bose verkauft den Flugzeugadapter separat für sage und schreibe 2,95€ – klar, dass man diese Riesensumme einsparen wollte bei einem Kampf-UVP des Kopfhörers von scharf kalkulierten 300€. Aufladen geschieht nun zeitgemäß per USB-C statt zuvor micro-USB, das mitgelieferte Kabel ist allerdings derart kurz, dass es mit „nett, aber nutzlos“ noch wohlwollend umschrieben ist. Immerhin ist auf dem USB-Stecker „Bose“ eingraviert, da muss man halt Prioritäten setzen.

Überraschend: das schön metallisch glänzende, ertastbar-erhabene Bose-Logo wurde durch einen simplen weißen Farbaufdruck ersetzt, der doch eher billig wirkt. Mir persönlich ist das wurscht, ich würde auch ganz ohne Firmenlogo zufrieden sein, aber Bose sollte da an die Zielgruppe denken, die auf solche Äußerlichkeiten durchaus Wert legen dürfte – Apple-Nutzer, Beats by Dre-Fans – eben die „Style ist wichtiger als technische Perfektion“-Fraktion.

Kommen wir zu den inneren Werten. Bluetooth ist jetzt bei Version 5.1 angekommen, was sich aber leider nicht auf die Akkulaufzeit auswirkt – schmale 22h bei aktivem NC sind nicht mehr zeitgemäß, wenn die Konkurrenz schon bei jenseits der 40h angekommen ist. Auch bezüglich der verfügbaren Bluetooth-Codecs gibt es keinen Fortschritt: AAC bleibt das Höchste der Gefühle, damit kann man maximal bei iPhone-Nutzern Zufriedenheit erzeugen. Schwache Vorstellung von Bose. Viel schlimmer ist aber: man hat den „kein NC“-Modus wegrationalisiert. Man hat zwar einen „Aware“-Modus dazugebaut, der anderswo „Transparency“-Modus heißt, aber man kann das Noise Cancelling nicht mehr gänzlich deaktivieren, und auch die „schwache NC“-Stufe hat man ersatzlos gestrichen. Und das ist leider eine dramatische Schwäche, denn beispielsweise im Betrieb im Hotelzimmer verfälscht nun der NC-Algorithmus die Musik, und zwar ohne Not. Besonders unangenehm, weil aktives NC bei Bose – zumindest bei mir – ein unschönes Gefühl von „Druck auf dem Ohr“ erzeugt. Im Flugzeug nimmt man das gerne in Kauf wegen der sehr guten Lärmminderungseigenschaften, aber in ruhigeren Umgebungen ist das einfach eine sehr schlechte Lösung. Es bleibt dann nur, das Klinkenkabel zu verwenden und „wie früher“ den Kopfhörer passiv zu verwenden.

Mal zum Vergleich: für deutlich weniger Geld bietet der Ankbit E700 (Ankbit ist die Kopfhörermarke von 1Mii, die sich einen Namen mit Bluetooth-Audio-Sendern/-Empfängern gemacht haben) alle entscheidenden Bluetooth-Audio-Codecs von aptX LL über aptX HD bis LDAC, mehrstufiges NC das auch komplett abschaltbar ist, funktionierenden Transparenzmodus, 60h Akkulaufzeit ohne und 45h mit NC, alle Adapter im Lieferumfang, und einen außergewöhnlich großen Verstellbereich des Kopfbügels (der ist beim Bose bei mir schon am Anschlag, beim Ankbit ist noch Luft). Und der Vorsprung bei der Qualität des Noise Cancelling – den hat Bose über die Jahre schlicht eingebüßt, die Unterschiede sind inzwischen verschwindend gering.

Unterm Strich: wer Bose will, sollte eher zum QC35-II greifen. Der Rest kann getrost zur Konkurrenz greifen – im höherpreisigen Segment vielleicht der Sony WH-1000XM4 oder WH-1000XM5, der brandneue Teufel Real Blue Pro, Sennheiser Momentum 4, Beyerdynamic Amiron (ohne NC, aber sonst sensationell), B&W PX8, B&O Beoplay HX – die Auswahl ist groß. Noch größer ist sie im tiefpreisigen Segment, da habe ich gute Erfahrungen gemacht mit Ankbit E700, Anker Soundcore Q35 und Avantree Aria Pro. Wie gesagt, das Noise Cancelling ist inzwischen flächendeckend gut, und wenn es den eigenen Qualitätsansprüchen nicht genügt, kann man es immer noch abschalten.

Außer bei Bose natürlich.