Die Vorrunde ist vorbei, das Achtelfinale steht an – Zeit, die alte Weisheit “es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von jedem” mit Leben zu füllen.

Deutschland ist bekanntlich als Gruppenletzter in der Vorrunde ausgeschieden – die große Überraschung der WM. Manche führten das auf den “Weltmeister-Fluch” zurück, demzufolge der Titelverteidiger stets in der Vorrunde ausscheidet. Frankreich 2002, Italien 2010, Spanien 2014 sind die letzten Beispiele. Und nun Deutschland 2018.

Bei näherer Betrachtung ist das Ausscheiden eines Favoriten in der Vorrunde kein wirklich seltenes Ereignis. Und da Fußball zu seinem Gutteil aus Zufall und Glück besteht, ist die Wahrscheinlichkeit für ein solches Ereignis eben nicht besonders klein. Zumal die Leistungsdichte ja eher zugenommen hat. Schon Berti Vogts wusste: “Die Breite an der Spitze ist dichter geworden.” Und bekanntlich gibt es ja auch keine kleinen Gegner mehr, da kann man Rudi Völler fragen (EM-2004-Qualifikation gegen die Färoer-Inseln mit dem knappen 2:1-Sieg nach unterirdischem Spiel – die Älteren erinnern sich).

Überhaupt hat der Fußball ja jede Menge Weisheiten und Lehren aus der Vergangenheit zu bieten. Jede Menge Statistiken und Serien, die ebenso schnell beginnen wie sie ebenso sicher irgendwann enden. Aber natürlich auch die weiterhin als gültig betrachteten. Der schon genannte “Fluch des Weltmeisters”. Deutschland ist noch nie in der Vorrunde ausgeschieden. Deutschland hat noch nie bei einem Turnier gegen Mexiko oder Südkorea verloren. Deutschland ist seit 2006 immer mindestens im Halbfinale gewesen. Deutschland ist eine Turniermannschaft. Form schlägt Klasse. Mit ausreichend Qualität und Erfahrung übersteht man die Vorrunde locker, auch im Formtief. Ein Erfolgserlebnis schweißt die Truppe zusammen. Und so weiter und so weiter.

Woran lag es jetzt bei Deutschland? Wie so häufig ist es sehr unwahrscheinlich, dass es einen einzelnen Grund dafür gab. Erklärungsversuche gab es ja reichlich, ich will nur einige davon nennen: Özil und Gündogan und die Erdogan-Affäre? Das spartanische deutsche Quartier Watutinki? Die Bayern-Spieler in der Krise nach der “schlechten” Saison mit nur einem Titel? Wagner und Sane nicht dabei? Rudy nach guten Minuten schwer verletzt raus? Boateng mit Gelb-Rot fürs entscheidende Gruppenspiel gesperrt? Angst der Mannschaft, bei einem Weiterkommen wieder von Frau Merkel in der Kabine heimgesucht zu werden? Atmosphärische Störungen in der Mannschaft, z.B. zwischen den Weltmeistern und den Confed-Cup-Siegern? Formschwäche der Führungsspieler? Alle satt nach dem WM-Titel 2014? Keine Topspieler auf den Außenpositionen? Manuel Neuer nicht rechtzeitig fit? Falsche Taktik von Löw? Falsche Auswechslungen im Südkorea-Spiel? Zu viele Änderungen in der Startelf? Oder einfach Pech? Glück nach dem Last-Minute-Sieg gegen Schweden aufgebraucht? Kein personeller Umbruch nach der WM 2014? Warum mit Özil im dritten Spiel, obwohl das erste mit ihm katastrophal war und das zweite ohne ihn erfolgreich war? Warum das “spielt – spielt nicht – spielt” mit Khedira? Warum ausgerechnet Goretzka im letzten Gruppenspiel? Und hätte nicht mal jemand Kimmich im Mexiko-Spiel erklären können, dass er auch Defensivaufgaben zu erledigen hat? War es die verhaltene Stimmung der Fans in der Heimat?

Aber letztlich gab es ja auch im gruseligen Spiel gegen Südkorea ausreichend Torchancen, um das Spiel für Deutschland zu entscheiden. Und da sind wir wieder bei “Glück” und “Zufall” als wichtige Faktoren im Fußball.

Nun hat es ja immer Kritik an Löw gegeben. Aber er hatte die Ergebnisse auf seiner Seite. Jetzt, wo das Ergebnis so unzufriedenstellend war, gibt es natürlich reichlich Ansatzpunkte für Kritik. Mein wichtigster Kritikpunkt: Löw favorisiert genau eine Spielweise. Spielt man gegen einen Gegner, der diese erfolgreich bekämpfen kann, oder sind die Spieler nicht in der Lage, diese Spielweise umzusetzen, geht es schief. Es gibt keinen Plan B. Spätestens nach dem Spiel gegen Mexiko (aber eigentlich schon in den Vorbereitungsspielen) hätte Löw den einfachsten aller Pläne entwickeln müssen: Torgefahr über Standards. Im Kader standen mit Hummels, Boateng, Gomez und Khedira außergewöhnliche Kopfballspieler. Mit Draxler, Werner und Reuss gibt es drei schnelle Spieler, die Standardsituationen forcieren können. Und mit Kroos gibt es einen Spieler, der zentimetergenau Bälle schlagen kann. Warum hat man so oft die Ecken kurz ausgeführt? Warum spielte Gomez nicht stets von Anfang an gegen die “kleinen” Abwehrreihen von Mexiko und Südkorea?

Das wäre alles nicht nötig gewesen, wenn Deutschland die bei der WM 2014 und teilweise bei der EM 2016 und der WM-Quali gezeigte Qualität im Kombinationsspiel gehabt hätte. Ballsicherheit, tödliche Pässe in die Tiefe. Nachdem das aber erkennbar nicht der Fall war, hätte man sich eben wieder auf die Grundtugenden des Fußballs konzentrieren müssen. Löw wollte das offenbar nicht. Er hat ja schon früher gesagt, dass er nix von Standards hält und diese auch nicht trainiert. Die WM hat m.E. gezeigt, dass es aber unabdingbar ist, gute Standardsituationen zu nutzen, um gegen defensiv gut stehende Gegner wenigstens ein Tor zu erzielen. Sowohl Portugal als auch England haben das gezeigt.

Wie geht die WM nun weiter? Ein Blick auf den Turnierbaum lässt mich ein Finale Frankreich-Kroatien vermuten. Aber bisher schlechte Spiele schützen nicht vor Titeln, siehe Portugal 2016 oder Griechenland 2004. Und so ist eben nicht auszuschließen, dass die Argentinier heute locker Frankreich aus dem Turnier kegeln. Das ist eben Fußball. Das Spiel ist so attraktiv, weil Überraschungen verhältnismäßig häufig vorkommen.

Blog-Kollege Werwohlf hat auch einen sehr lesenswerten Artikel mit Fokus auf das deutsche Abschneiden verfasst. Lesen! https://werwohlf.wordpress.com/2018/06/28/was-zum-rest-der-ehemals-besten/

Neulich im Supermarkt. Der Prospekt versprach, mit dem unvermeidlichen aktuellen WM-Bezug, “weltmeisterliche Party-Grillplatten”. Also schön gerichtete Platten mit einem Grillfleischsortiment. Servier-Platte inklusive. Aber mit einem wichtigen Hinweis: “Bei größeren Mengen bitten wir Sie, im Markt vorzubestellen.” Alles klar.

Der Mitarbeiter hinter der Fleischtheke hingehen vertrat die Ansicht, dass selbstverständlich überhaupt keine Grillplatten vorbereitet zum Mitnehmen existieren und man stattdessen stets diese mindestens einen Tag vorher bestellen müsse. Meine Frage, ab wann denn die “größere Menge” beginne, beantwortete er vielsagend mit einem Schulterzucken. Ebenso meinen Ratschlag, solche für Kunden nicht ganz unwichtigen Details doch etwas breiter zu publizieren. Nun ja. Talent zur Kundenkommunikation ist nicht jedem gegeben.

Wir lernen daraus: mancherorts gilt eben schon “Eins” als “größere Menge”. Und kaufen das Fleisch lieber wieder woanders.