Die Vorgeschichte dieses Konzertbesuchs im Colos-Saal zu Aschaffenburg beginnt im April diesen Jahres. Ich weilte in den Niederlanden zwecks eines großartigen Konzertereignisses im weltweit bekannten Musik-Hotspot De Bosuil in Weert, Provinz Limburg. Support-Act aka “Special Guest” bei der wunderbaren Charlotte Wessels war die niederländische Combo Blackbriar mit der ebenso wunderbaren Zora Cock als Sängerin. Und was die da performt haben, fand ich schon ziemlich gut. Als dann eine Double-Headliner-Tour zusammen mit Ad Infinitum (da kannte ich zu diesem Zeitpunkt nur die Sängerin Melissa Bonny, allerdings nur in ihrer Funktion als Sängerin von The Dark Side Of The Moon mit dem May-It-Be-Duett zusammen mit Charlotte Wessels (ja, ein Enya-Cover), und auch aus einem sehr sehens- und hörenswerten Gastauftritt beim Song und Video von “Ding” in der Coverversion von Feuerschwanz) angekündigt wurde, war Aschaffenburg terminlich und räumlich die Konzertlocation der Wahl.

Wie sich dann herausstellte, kam auch noch Phantom Elite als Support-Act dazu. Eine eher unbekannte niederländisch-brasilianische Metal-Band, die konsequenterweise auch nur bei der niederländischen Wikipedia einen Eintrag hat. Also eine mir bekannte und zwei mir unbekannte Bands mit dem einigenden Attribut “Heavy Metal”. Ob das gutgeht? Zudem mein erstes Konzert, bei dem ich von keinem der Beteiligten einen Tonträger zu Hause habe. Was kann schon schiefgehen.

Zuerst also Phantom Elite. Ich bin kein Experte bei den zig Metal-Stilrichtungen von Symphonic Metal über Metalcore bis Progressive Metal, die angeblich oder tatsächlich bei Phantom Elite zusammengebraut werden. Ich kann nur sagen: das fetzt, das rockt, das bangt. Die Sängerin Marina La Torraca ist eine Naturgewalt, sowohl was das gesangliche Vermögen als auch die Bühnenpräsenz angeht. Dazu ein alter Bekannter auf der Bühne: Siebe Sol Sijpkens, im Hauptberuf Bassist bei Blackbriar und damit an diesem Abend gleich doppelt im Einsatz, mischt auch bei Phantom Elite mit. Seine Hyperaktivität auf der Bühne macht einfach Spaß beim Zuschauen. Strich drunter: eine großartige Stunde Musik. Bin jetzt Fan.

Als Nächstes: Blackbriar. Mit einem ähnlichen Set am Start wie damals bei Charlotte, bin ich erneut begeistert. Zoras Gesang ist etwas ganz Besonderes, zwischen zerbrechlich und ver- und bezaubernd, die Songs mit wunderschöner Melodieführung, dazu die zwei Jungs an der Stromgitarre und Siebe am Bass noch dazu – großes Kino. Ist es jetzt Goth Metal oder Symphonic Metal oder Alternative Metal? Wurscht. Es ist einfach großartig. War, bin und bleibe Fan.

Kommen wir zu Ad Infinitum. Melissa Bonny war gesundheitlich leicht angeschlagen – dass man das aber nur bei den Ansagen zwischendurch gemerkt hat und nicht bei der Performance der Songs, spricht für ihre unglaubliche Professionalität. Und was diese Frau auf der Bühne abzieht und zudem souverän zwischen Clean und Harsh Vocals hin- und herwechselt – erneut: ganz großes Kino. Bin jetzt Fan.

Damit bleibt nach etwa vier Stunden die Erkenntnis des Abends: wieder sind aller guten Dinge drei. In diesem Falle alle drei. Und nach meinem Empfinden ging es dem Rest des Publikums im pickepackevollen Saal genauso.

Und was ist mit Kritik? Nur (Neu-)Fanboy-Geschreibsel hier? Aber nein. Denn leider leider hat ein sehr tauber Toningenieur am Mischpult den Konzertgenuss doch etwas getrübt. Zu viel Bass, zu viel Drums, zu wenig Gesang. Shame on you, Mister Sound Engineer. Denn während meistens mehr tatsächlich mehr ist, wäre in diesem Falle weniger mehr gewesen.

Schrieb ich oben was über die völlige Abwesenheit physischer Tonträger dieser Bands in meinem Besitz? Beim nächsten Konzert, und zwar egal von welcher dieser drei Bands, werde ich das nicht mehr schreiben können.

Für die Zwecke einer schönen Alliteration wäre es besser gewesen, den Titel “Müde Männer machen Musik” zu wählen, aber nichts könnte weiter von meinem Eindruck vom letzten Sonntag entfernt sein. Vielleicht “Muntere Männer machen Musik”? Warum nicht gleich “Musik macht müde Manner munter”? Naja – wir sind doch hier nicht bei Axel Frischmilch.

Scherz beiseite. Tatort war die Liederhalle in Stuttgart, der “wunderbar geschmückte Hegel-Saal” (Zitat Günther Sigl). Obwohl Ankündigung und Ticket eher auf “Double Headliner” schließen ließ, war die Aufteilung der Auftrittsdauer ganz in meinem Sinne: etwa 1h machte die Münchener Freiheit den Anheizer, nach etwa 20min Umbaupause kam dann die Spider Murphy Gang mit ihrem vollen Set von über zwei Stunden zum Einsatz.

Die Jungs von Grachmusikoff traten zuletzt unter dem selbstironischen Motto “Too old to die young” auf, und besonders bei den Spiders mit den zwei Gründungsmitgliedern Günther Sigl und Barney Murphy (aka Gerhard Gmell – Randnotiz: Wikipedia, IMDB, Spider-Homepage, seine eigene Homepage und der Rest der Welt scheinen sich uneinig, ob er nun “Barny” oder “Barney” heißt…die Wikipedia verwendet konsequenterweise beide Schreibweisen, um die Verwirrung noch zu steigern) – seit 1977 zusammen auf Tour in Sachen Rock’n’Roll – trifft dieses sicherlich voll zu. Bei der Münchener Freiheit, gegründet 1980, ist immerhin noch Gitarrist Aron Strobel, der auch zusammen mit dem ehemaligen Sänger Stefan Zauner die bekannten Hits geschrieben hat, als Gründungsmitglied an Bord. Mit Jahrgang 1958 ist er aber über 10 Jahre jünger als “Bühnensenior” Günther Sigl.

Das eher honorige Ambiente der Stuttgarter Liederhalle – wie gesagt, der wunderbar geschmückte Hegel-Saal war Ort der Handlung – wo tendenziell eher klassische Konzerte und ab und an auch Konferenzen stattfinden war also durchaus angemessen für diese beiden Bands, die vor allem in den 80ern des vergangenen Jahrhunderts deutsche Musikgeschichte geschrieben haben. Auch schon wieder 40 Jahre her.

Natürlich war es unvermeidlich in den 80ern, die Lieder der Münchener Freiheit zu kennen. Kaum jemand aus meiner Generation hat nicht “Ohne Dich schlaf’ ich heut’ Nacht nicht ein” oder “Solang man Träume noch leben kann” gehört und gekannt. Zumindest den Refrain kann praktisch jeder mitsingen. Und ich durfte feststellen, dass mein 80er-Gedächtnis noch voll intakt ist und ich von den 13 gespielten Liedern die damals mir bekannten 10 weiterhin weitgehend textsicher mitsingen kann. Immer noch nicht voll mein Geschmack, weil etwas zu poppig und schlagerartig, aber man kann sich das sehr gut eine Stunde lang anhören ohne es zu hassen. Und das ist ja wirklich für einen “Support Act” schon eine herausragende Leistung. Mindestens der halbe Saal jedenfalls war ziemlich begeistert. Auch wenn ich zugeben muss, dass mich der Sänger (nicht mehr Gründungsmitglied Stefan Zauner, sondern seit 2012 Tim Wilhelm) nicht ganz abgeholt hat – die Stimmfarbe ist einfach anders und klingt für mich, der ich die Lieder nur im Original und aus der Konserve kenne, irgendwie “falsch”. Nicht schlecht, aber eben anders. Hier die Setlist zum Nachlesen.

Nebenbemerkung: keines der Gründungsmitglieder ist gebürtiger Münchener, im Gegenteil haben sich da drei waschechte Schwaben (zwei württembergische, ein bayerischer) in das Lineup gemischt. Der Name war und ist also nicht unbedingt Programm wenn man so will.

Sehr angenehm fand ich, dass die Lieder live einen deutlich rockigeren Eindruck machen als aus der Konserve, die ja doch eher poppig-flauschig-zuckersüß daher kommen. Die E-Gitarre von Aron Strobel ist im Mix sehr präsent und trägt zusammen mit dem Bass von Michael Kunzi den entscheidenden Teil dieser angenehmen Härte bei.

Kommen wir zu den Spiders. Günther war sehr gut aufgelegt und hatte einige erweiterte Ansagen in petto, zuzüglich der Klassiker vor “Mit’n Frosch im Hois und Schwammerl in de Knia” – von Menschen, die auch selbst “Hokuspokus” auswendig kennen, gerne mit einem überraschenden Auftauchen von “Immer auf die Kleinen” in der Setlist verwechselt – und natürlich die feinen Textanpassungen bei “Überdosis Rock’n’Roll” und “Wo bist Du?”, um das Kennerherz zu erfreuen (ich warte ja seit über 20 Jahren darauf, dass die “DDR” mal aus dem Text von “Ich grüße alle und den Rest der Welt” verschwindet). Und immer wieder der Hinweis auf den “wunderbar geschmückten Hegel-Saal”. Gefehlt hat eigentlich nur die Willie-Duncan-Geschichte vom einzigen Schotten weltweit, der bayrisch singt. Aber manchmal ist ja das Weglassen die große Kunst. Sehr gefreut hat mich der kurze Rückblick auf das 40jährigen Jubiläumskonzert, das mir noch in bester Erinnerung ist.

Die Setlist war dann eher Standard:

  • Überdosis Rock ‘n’ Roll
  • Rock ‘n’ Roll Schuah
  • Vis-a-vis
  • So a Nacht
  • Mit’n Frosch im Hois und Schwammerl in de Knia
  • Sommer in der Stadt
  • Ich grüße alle und den Rest der Welt
  • Pfüati Gott Elisabeth
  • Schickeria
  • Wer wird denn woana
  • Ich schau’ dich an (Peep Peep)
  • Wo bist Du?
  • Skandal im Sperrbezirk

Zugaben:

  • Achterbahn
  • Herzklopfen
  • Mir san a bayrische Band

Wie immer hat Günther seinen sehr optimistischen Ausblick auf die nächsten Jahre verkündet, wie lange die Spiders noch auf der Bühne stehen werden. Ich könnte mir vorstellen, dass mindestens das 50jährige Bühnenjubiläum noch ein realistisches Ziel sein dürfte. Auch wenn man bekanntlich, selbst wenn man junggeblieben ist, nicht jünger wird. Im Gegensatz zur Münchener Freiheit jedenfalls ist kaum vorstellbar, dass die Spiders den Sänger wechseln und weitermachen. Das wäre wie die Rolling Stones ohne Mick Jagger. Wobei, Queen ohne Freddy Mercury wurde ja auch versucht…