Kaum hatte ich den vorherigen Kopfhörer-Artikel vollendet, gab es im Rahmen des Prime Day den Nachfolger meines QC35 – mit QC45 auch außergewöhnlich kreativ benannt – zu einem saugünstigen Preis zu erwerben. Da ich schon lange ein zweites Standbein als Kopfhörer-auf-Herz-und-Nieren-Tester aufbauen will, hier mein Review.
Über den QC35 habe ich viel Gutes geschrieben, vor allem wenn man bedenkt, dass das Modell schon 2016 erschienen ist. Die Kurzfassung: sehr hoher Tragekomfort, sehr gutes Noise Cancelling, immerhin ein mittelguter Codec unterstützt (AAC) und ein aus meiner Sicht sehr ansprechendes Bedienkonzept – gut erreichbare Knöpfe, und “Einschalten und Pairing” sehr gut mit einem Schiebeschalter gelöst nebst nützlicher Ansage mit welchem Gerät der Kopfhörer verbunden ist. Viel zu verbessern gab es also nicht. Wenn man mich gefragt hätte: Transparenz-Modus hinzufügen, HD-Bluetooth-Codec-Unterstützung dazubauen (mindestens aptX HD und/oder LDAC, und wenn es als Fernseh- und Heimkino-Kopfhörer taugen soll, auch noch aptX LL), Doppelbelegung der Tasten anders lösen, vielleicht ein neuerer Bluetooth-Standard zwecks energiesparender Funkverbindung, und wenn möglich eine Abkehr von der dämlichen 2,5mm-Klinkenbuchse am Kopfhörer. Längere Akkulaufzeit würde auch nicht schaden, schließlich sind 5 Jahre vergangen zwischen dem Erscheinen des QC35 und der ersten Marktverfügbarkeit des Nachfolgers QC45. Für den selbsternannten Innovationskonzern Bose sollten da doch signifikante Verbesserungen drinliegen.
Äußerlich sind die beiden Modelle kaum zu unterscheiden, und das ist ja auch kein Fehler, da war der QC35 gerade bezüglich Tragekomfort und Bedienkonzept schon vorbildlich. Auch das Hardcase ist quasi identisch, der Lieferumfang der Adapter ist auf “0” geschrumpft, Bose verkauft den Flugzeugadapter separat für sage und schreibe 2,95€ – klar, dass man diese Riesensumme einsparen wollte bei einem Kampf-UVP des Kopfhörers von scharf kalkulierten 300€. Aufladen geschieht nun zeitgemäß per USB-C statt zuvor micro-USB, das mitgelieferte Kabel ist allerdings derart kurz, dass es mit “nett, aber nutzlos” noch wohlwollend umschrieben ist. Immerhin ist auf dem USB-Stecker “Bose” eingraviert, da muss man halt Prioritäten setzen.
Überraschend: das schön metallisch glänzende, ertastbar-erhabene Bose-Logo wurde durch einen simplen weißen Farbaufdruck ersetzt, der doch eher billig wirkt. Mir persönlich ist das wurscht, ich würde auch ganz ohne Firmenlogo zufrieden sein, aber Bose sollte da an die Zielgruppe denken, die auf solche Äußerlichkeiten durchaus Wert legen dürfte – Apple-Nutzer, Beats by Dre-Fans – eben die “Style ist wichtiger als technische Perfektion”-Fraktion.
Kommen wir zu den inneren Werten. Bluetooth ist jetzt bei Version 5.1 angekommen, was sich aber leider nicht auf die Akkulaufzeit auswirkt – schmale 22h bei aktivem NC sind nicht mehr zeitgemäß, wenn die Konkurrenz schon bei jenseits der 40h angekommen ist. Auch bezüglich der verfügbaren Bluetooth-Codecs gibt es keinen Fortschritt: AAC bleibt das Höchste der Gefühle, damit kann man maximal bei iPhone-Nutzern Zufriedenheit erzeugen. Schwache Vorstellung von Bose. Viel schlimmer ist aber: man hat den “kein NC”-Modus wegrationalisiert. Man hat zwar einen “Aware”-Modus dazugebaut, der anderswo “Transparency”-Modus heißt, aber man kann das Noise Cancelling nicht mehr gänzlich deaktivieren, und auch die “schwache NC”-Stufe hat man ersatzlos gestrichen. Und das ist leider eine dramatische Schwäche, denn beispielsweise im Betrieb im Hotelzimmer verfälscht nun der NC-Algorithmus die Musik, und zwar ohne Not. Besonders unangenehm, weil aktives NC bei Bose – zumindest bei mir – ein unschönes Gefühl von “Druck auf dem Ohr” erzeugt. Im Flugzeug nimmt man das gerne in Kauf wegen der sehr guten Lärmminderungseigenschaften, aber in ruhigeren Umgebungen ist das einfach eine sehr schlechte Lösung. Es bleibt dann nur, das Klinkenkabel zu verwenden und “wie früher” den Kopfhörer passiv zu verwenden.
Mal zum Vergleich: für deutlich weniger Geld bietet der Ankbit E700 (Ankbit ist die Kopfhörermarke von 1Mii, die sich einen Namen mit Bluetooth-Audio-Sendern/-Empfängern gemacht haben) alle entscheidenden Bluetooth-Audio-Codecs von aptX LL über aptX HD bis LDAC, mehrstufiges NC das auch komplett abschaltbar ist, funktionierenden Transparenzmodus, 60h Akkulaufzeit ohne und 45h mit NC, alle Adapter im Lieferumfang, und einen außergewöhnlich großen Verstellbereich des Kopfbügels (der ist beim Bose bei mir schon am Anschlag, beim Ankbit ist noch Luft). Und der Vorsprung bei der Qualität des Noise Cancelling – den hat Bose über die Jahre schlicht eingebüßt, die Unterschiede sind inzwischen verschwindend gering.
Unterm Strich: wer Bose will, sollte eher zum QC35-II greifen. Der Rest kann getrost zur Konkurrenz greifen – im höherpreisigen Segment vielleicht der Sony WH-1000XM4 oder WH-1000XM5, der brandneue Teufel Real Blue Pro, Sennheiser Momentum 4, Beyerdynamic Amiron (ohne NC, aber sonst sensationell), B&W PX8, B&O Beoplay HX – die Auswahl ist groß. Noch größer ist sie im tiefpreisigen Segment, da habe ich gute Erfahrungen gemacht mit Ankbit E700, Anker Soundcore Q35 und Avantree Aria Pro. Wie gesagt, das Noise Cancelling ist inzwischen flächendeckend gut, und wenn es den eigenen Qualitätsansprüchen nicht genügt, kann man es immer noch abschalten.
Außer bei Bose natürlich.